Zweimal schreiben, Überschreiben

Nimm ein Buch, von dem du glaubst, es beschreibt etwas, über das du nachdenken möchtest. Lies eine Seite oder mehr davon, lies so lange, bis du einen Gedanken gefunden hast, von dem aus du weiterdenken kannst, dem du eine andere Richtung geben kannst. Es ist fast gleich, welches Buch du dabei benutzt. Letztlich liegt die Arbeit bei einem selbst, das Angeeignete neu und lebendig zu machen. Überhaupt ist es sinnvoll, alles mindestens zweimal zu schreiben. Der erste Gedanken mag “authentischer” wirken, und man mag ihm den Anschein des Intuitiven geben. Letztlich ist aber auch schon der erste geschriebene Gedanke eine Bearbeitung, die auf den Diskurs zurükgreift. Einen eigenen Gedanken noch einmal zu durchdenken und anders zu denken, verbreitert das Blickfeld und ändert die Sicht um eine Nuance. Man hat die Gelegenheit, sich selbst (vielmehr das Geschriebene, was eigentlich nicht mit dem Selbst gleichzusetzen ist) als einen anderen zu erkennen und zu entdecken. Zweimal schreiben, überschreiben, ist also die Entdeckung des Andersartigen und Auseinandersetzung mit dem Differenten.

Umschläge

Die Briefe, in denen es um Gefühle und die wirklich wichtigen Dinge geht, die also von Herzen kommen, sollte man vielleicht manchmal gar nicht erst abschicken. Der andere wird die Worte ohnehin nicht verstehen, jedenfalls nicht so verstehen, wie man sie gemeint hat. Einige Zeit später wird man sich wahrscheinlich darüber ärgern, dass man das ebenso behutsam wie mühsam Geschriebene auf den Weg zum andern geschickt hat, der es nicht wie gewünscht versteht. Die Worte sind eben nicht man selbst, und man will sich ja selbst bei so einer wichtigen Mitteilung in den Briefumschlag stecken. Eigentlich reicht es also, wenn man einen vollkommen leeren Briefumschlag, ohne äußerer Beschriftung wie Adresse und Absender, beim anderen, dem Empfänger, einwirft. Ihrer Funktion nach sind Briefumschläge Geheimnisträger und Botschafter. (more…)

Überleben

Überleben, überlebt haben, heißt, sich im Katastrophenzustand noch eine Hoffnung auf einen glücklicheren Augenblick bewahrt zu haben.
Man kann leben, um es allen (“irgendwann einmal”) zu zeigen, dass man auf diese Weise überleben konnte. Dieses Leben wäe ein Gegenbeispiel, ein Gegenentwurf der, kaum entworfen, alle Hoffnungen und Vorsätze verwirft, auf den Gedankenmüll wirft. Sich der Gefahr des Scheiterns von Lebensentwürfen auszusetzen, dieses Scheitern bewusst zu suchen, macht aber nur Sinn, wenn ein wirkliches Leben dabei herauskommt, das man guten Gewissens – und ohne Selbstlüge – so nennen kann. Ein sinnloses Leben ist sicherlich unerträglich.

Schlaflos

Es gibt Gedanken, die muss man durchschreiben, herausschreiben, herausschneiden, aus seinem Kopf entfernen, damit man endlich wieder schlafen kann.

Melancholie

Melancholie ist die Unfähigkeit, das Geschehene vergessen zu können. Die Melancholie verschwendet viel Zeit darauf, das Vergangene poetisch zu machen, ihm den Anschein des Unvergesslichen zu geben. Melancholie ist die Trauer um das Verlorene und die Idealisierung des Unwiederbringlichen. Die Melancholie weiß, dass auch das Zukünftige verloren gehen wird. Es wird unbedeutsam sein, und die Anderen, die Nicht-Melancholischen werden es in den Dreck ziehen.