Trost

Er will keinen Trost, aber nicht deshalb, weil er ihn nicht will – wer wollte ihn nicht, sondern weil Trost suchen heißt: dieser Arbeit sein Leben widmen, am Rande seiner Existenz, fast außerhalb ihrer immer zu leben, kaum mehr wissen, für wen man Trost sucht, und daher nicht einmal imstande zu sein, wirksamen Trost zu finden, wirksamen, nicht wahren, den es nicht gibt.
Franz Kafka: “Er”- Aufzeichnungen aus dem Jahr 1920. In: Beim Bau der Chinesischen Mauer, S. 177f. Leipzig u. Weimar: Kiepenheuer, 1979.

Trost heißt Suchen. Für “Er” in Kafkas Aufzeichnungen gibt es keinen wahren Trost, sondern nur wirksamen. Es gibt also nichts, was die Bedürftigkeit nach Trost endgültig beenden könnte, sondern nur etwas, das die Trostlosigkeit der Existenz überdeckt. Kafkas Text folgend sind wir also von Anfang an mit etwas belastet (schuldig). Leben heißt demnach versuchen, die untilgbare Schuld, für die wir getröstet werden wollen, zu überdecken. Den Anlass für das Schuldigsein haben wir oft vergessen, er ist unserer Existenz vorgängig. Wer Trost sucht, muss sein Leben der Tilgung einer Schuld oder eines Unvermögens widmen. Es ist eine Suche ohne Ankommen, ohne Lösung, keine Wiederherstellung des weißen Blatts. Auch der “Sündenfall” der Entstehung einer ungenügenden Sprache lässt sich nicht rückgängig machen, die Wiederherstellung der ersehnten Sprachlosigkeit ist unmöglich. Trost suchen heißt, sich dabei der Gefahr des Scheiterns auszusetzen, dieses Scheitern aber nicht akzeptieren zu können. Für das Unausweichliche, den Tod, gibt es keinen wahren Trost (die Erlösung), sondern nur wirksamen (Glauben, Ablenkung, das Nicht-Suchen nach Wahrheit und den wahren Trost). Ein Verlust lässt sich nicht rückgängig machen, darum kann es keinen wahrhaften Trost geben. Die Suche nach wahrem Trost lenkt nur von einem wahrhaftigen Leben ab. Wenn man immer nur auf eine Rettung wartet und dabei vergisst auf sein eigenes Leben zu achten, bleibt man eine trostlose Existenz.

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