JUDITH BUTLER in Frankfurt am Main, 29.09.2001

 

 

Foto von Ines Baier, Judith Butler im Februar 1997

(Dieses seltene Photo stammt von einem Vortrag Judith Butlers in der Berliner Staatsbibliothek, 1997, Foto von Ines Baier/taz, Bearb. v. mir)

Der Hörsaal an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt war vollkommen überfüllt. Hunderte von Interessierten wollten den Vortrag der berühmten amerikanischen Philosophin und feministischen Theoretikerin („Gender Trouble”, „Bodies that Matter”), die einen Lehrstuhl an der Universität in Berkeley innehat, im Rahmen der Foucault-Konferenz hören. Für viele der Anwesenden sprach sie ganz unerwartet nicht von ihrem Hauptforschungsfeld, den queer-studies, als deren Begründerin sie gilt; ihre Themen waren vielmehr die Zusammenhänge zwischen Macht und Körper sowie Foucault als Philosoph der Anerkennung. Als Kommentatoren waren Claudia Honegger von der Universität Bern und Reimut Reiche aus Frankfurt/Main geladen. Eine kurze Einführung gab Sabine Hark, die auch die abschließende Diskussion moderierte.

Judith Butler hielt ihren Vortrag, der an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden soll, in fast akzentfreiem deutsch, was den meisten Anwesenden ein leichteres Verständnis ihrer komplexen Theorien ermöglichte. Butler begann mit einer knappen Einführung in Foucaults Beschreibung der Macht und ihrer Wirkungen auf das Subjekt. Die Machtverhältnisse wirken nach Foucaults Meinung direkt auf den Körper ein, um ihn fügsam zu machen und ihn zu zwingen. Ein Zwang zum Handeln wirkt nicht dem Handeln voraus, denn im Handeln ist der Zwang immer schon enthalten. Hinter der Tat (agency) existiert kein „Täter” (agent), der ihr vorausgehen würde.

Eine Strategie ist eine diffuse, vielschichtige und produktive Apparation von Macht, die nicht vom Subjekt angeeignet wird. Die Macht-Apparation ist nichts, das ein Subjekt besitzt, denn die Macht ist nichts, was man sich aneignen oder besitzen kann. In Butlers Theorie sowie in Foucaults Untersuchungen wird bei der Analyse der Macht kein Subjekt vorausgesetzt. So wird die Macht weder von einem Subjekt besessen noch nicht besessen: „Die Macht ist nichts in einem” (Butler), sondern ein Merkmal innerhalb der Macht selbst.

Butler fragt nun, wer da kämpft und wer den Widerstand innerhalb der Machtverhältnisse leisten kann. Um welchen Referenten handelt es sich? Wie ist Widerstand bei Foucault überhaupt möglich? Können Personengruppen und Gruppen von Machtbeziehungen widerständig sein? Es gibt immer noch das Risiko einer Umkehrung von Machtverhältnissen, von dem Foucault in seinen Texten spricht.

Kritiker warfen Foucault vor, daß er die Macht personifiziere. Butler hält diesen Vorwurf allerdings für überholt. Der französische Philosoph folgt bei seiner Beschreibung der Macht einer nicht-konventionellen Grammatik. Die Macht ist für ihn keine Person, sondern sie wird immer wieder aufs Neue in einer Schlacht hergestellt. Dieser Kampf hat die Fähigkeit einer Umkehrung der Machtverhältnisse und der Funktionen des Körpers. Seine Handlungsfähigkeit bekommt der Körper durch eine Ununterscheidbarkeit von der Macht und dem Subjekt. Butler beschreibt ein „Changieren” zwischen Subjekten und Machtbeziehungen, wobei es kein Subjekt der Aneignung und des Besitzes gibt. Seine Aktivität vollzieht sich immer in einem Spannungsverhältnis und ist stets umkämpft. Das neue „Subjekt” bei Foucault ist etwas, das einer permanenten Veränderung unterliegt und unabänderlich verkörpert wird.

Michel Foucault beschreibt in „Überwachen und Strafen” (ÜuS) die Revolte der Körper gegen den Körper des Gefängnisses. Mit „Körper” bezeichnet er sowohl den menschlichen Körper als auch die Architektur und die Institution des Gefängnisses. Die Macht bleibt nicht auf das menschliche Subjekt beschränkt, sondern wirkt auch durch Bauwerke (z. B. die Klinik und das Gefängnis des 19. Jahrhunderts). In den verkörperten Institutionen findet eine Bemächtigung über Körper in einem Körper statt. Die Materialität des Gefängnisses wirkt strategisch auf den Körper ein. Daher wird im 19. Jahrhundert die „Seele” eingeführt, um sich durch diese z. B. dem Körper des Delinquenten zu bemächtigen. Sie ist selbst Resultat einer Unterwerfung, ein Teil der Herrschaft, welche die Macht über die Körper ausübt: „Die Seele [...] [ist das] Gefängnis des Körpers” (ÜuS 42).

Der französische Philosoph wertet die Macht um: Bei ihm handelt es sich um ein Machtnetz mit verschiedensten Beziehungen. Der Körper, der zuvor noch als unbeweglich und von Trieben beherrscht gedacht wurde, wird von Foucault neu definiert. Die Körper werden zum Schauplatz der Machtanwendung und der Machterfahrung. Sie sind aktive Durchgangspunkte oder Knotenpunkte der Erfahrung. Bei Foucault wird folglich nicht nur das Subjekt, sondern auch der Körper neu definiert. Er ist der Raum an dem die Macht selbst übertragen wird. Der Körper ist beides zugleich: ein Einwirkungsort der Macht, aber auch ein Umwertungsort von Macht, von dem aus Widerstand möglich sein kann.

Es gibt bei Foucault also keine starre Trennung von „aktiv” und „passiv”. Der Körper ist zugleich Träger von immerwährender produktiver Arbeit und zugleich nützlich und unterworfen. Dieses Zusammenspiel ist nicht zufällig. Die Unterwerfung und die Produktivität bedingen einander, sie lassen sie nicht voneinander trennen.

Durch diesen Nexus erfolgt eine Umwertung bei Judith Butler: Der Körper ist ein Raum der Leidenschaft, ein Knotenpunkt, ein Umlenkungspunkt der Macht und möglicher Ort, von dem aus Widerstand erfolgen kann. Butler will ein Denken von Handlungsfähigkeit im Verhältnis von Macht und Körper.

In seinem Aufsatz „Das Subjekt und die Macht” erklärt Foucault, daß er eine Geschichte der Verfahren entwerfen will, „durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden” (SM 240, Hervorhebung von mir, M. C. J.). Sein Ziel war es, die sogenannte „Subjektivation” des Menschen zu beschreiben. Dabei handelt es sich um ein scheinbares Paradox der Macht: 1. meint sie die Unterwerfung und Unterordnung des Individuums, 2. den Prozeß der Subjektwerdung. Menschen werden bei Foucault durch Produktion, Erzeugung und Selbsterzeugung zu Subjekten gemacht. Man sollte neben der Produktion aber auch nicht das Schöpferische bei der Subjektivation vergessen. Trotzdem ist das Subjekt immer schon durch die Macht konstituiert, vorgeformt und wird durch diese inszeniert.

Handelt es sich bei Foucaults späten Texten („Das Subjekt und die Macht” sowie „Sexualität und Wahrheit Band 2 und 3”) um eine Abwendung von der Macht-Problematik (wie z. B. Hinrich Fink-Eitel meint; M. C. J.)? Butler glaubt, daß Foucault in seinem Spätwerk gegen die Passivität, in der die Macht auf uns einwirken kann, schreibt und revoltiert. Foucault will, daß die Macht über den Widerstand kennengelernt werden soll. In „Überwachen und Strafen” vergleicht er Formen von Macht und Widerstand. Die anti-autoritären Kämpfe stellten auch die Frage danach, was bzw. wer wir sind. Dabei handelte es sich um eine Gegenbewegung gegen die Macht, die uns an eine „Identität” und das „Gesetz der Wahrheit” binden will.

Foucault bemerkt, daß die Macht Effekte erzeugt, die selbst Widerstand sind. Die Bindung des Subjekts an seine eigene Identität geschieht mittels des „Gesetzes der Wahrheit”, das es dazu zwingt, seine eigene Wahrheit anzuerkennen. Aber können wir nicht auch etwas anderes werden als das, was die Macht für uns vorgesehen hat? fragt Judith Butler. Gibt es Möglichkeiten für eine „Umlenkung der Macht”?

„Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn: vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewußtsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein. Beide Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und zu jemandes Subjekt macht.” (SM 246f)

Bei der Subjektivation handelt es sich nicht um eine mechanische Produktion von Subjekten, sondern um eine „Selbstverhaftung” (man beachte die Doppelbedeutung im Deutschen, M. C. J.) an eine Identität. Man bindet sich an diese durch eine Norm, welche gesellschaftlich bedingt ist. Die Selbstverhaftung geschieht durch Normen, die uns Individuen auf ein Beharren auf unser Selbst-Sein beschränkt. Judith Butler sucht nach neuen Möglichkeiten und Schauplätzen, sich den Regulierungen der Norm entgegenzustellen. Sie möchte nur ein „leichtes Widersprechen”, denn man muß die Normen anerkennen. Das Begehren nach Anerkennung, das imperativische „Muß” und das Verhaftet-Sein, ohne das wir nicht sein können, zwingen uns zu dieser Anerkennung. Bei einem Verstoß gegen die Normen, riskiert man gleichfalls seinen eigenen Subjektstatus.

Und noch einmal stellt Butler die Frage: Ist ein Eingriff in das „Gesetz der Wahrheit” nicht doch möglich? Warum gibt es keine Wahl? Spricht an dieser Stelle Foucault oder das Gesetz? Für Foucault gibt es ohne die Anerkennung der Norm kein Subjekt. Um zu sein, müssen wir anerkennbar sein. Wenn wir nun aber die Normen feststellen, die das eigene Subjekt-Sein produzieren, dann kommt es auch zu einer Gefährdung des eigenen Seins. Diese Feststellung führt zu einem „leidenschaftlichen Verhaftet-Sein” mit sich selbst. Die ständige Norm-Befolgung kann auch zu einem Narzißmus führen. Bei Lacan heißt es, daß diese Form der Selbstidentifizierung immer fiktiv ist. Immer wieder scheitert die eigene Normsetzung. Die Konformität zeigt selbst die Zeichen ihrer Beschränkung.

Das Leben des Verhaftet-Seins mit weniger Beschränkungen führt zu einer Gefährdung des eigenen Seins durch den Druck der Norm. Daher fragt Butler: „Wie kann ich bei der gegenwärtigen Ordnung des Seins sein? Was kann man werden?” Foucault forderte die Hervorbringung neuer Subjektivitäten und Lebensweisen, ein Streben danach, etwas anderes zu werden.

In Foucaults Spätwerk taucht ein neues Subjekt auf, aber deswegen verschwindet der disziplinierte, machtbesetzte Körper nicht. Dieses Subjekt ist immer noch kein „Rechts-Subjekt” mit bestimmten Rechten. Es ist immer noch ein verhaftetes, das in seinem Körper eingekerkert ist.

Was muß ich sein, um anerkannt zu sein? Was ist dieses Ich, das die Macht hinterfragt? Für Butler muß auf die Körper eingewirkt werden; der Körper wird zur Leidenschaft seines eigenen Seins durch die Reformulierung dieser Verhaftung. Der leidenschaftliche Körper wird zum Ort möglicher Transformationen. Wir müssen uns den Normen unterwerfen, um uns anzuerkennen und von anderen anerkannt zu werden. Auch das Gefühl von „wir” (z. B. wir Frauen, Lesben, Schwule, usw.) und andere gesellschaftliche Zusammenhänge sind mit dieser Anerkennung verbunden. „Wir sind unumkehrbar anfällig für Ausbeutung”, sagt Butler in ihrem Vortrag. Die Leidenschaften sind an den Grenzen der Anerkennbarkeit, eine Distanz ist von diesem Ort aus möglich.

Damit schließt Judith Butler ihren Vortrag. Sie zeigt sich darauf etwas überrascht und erstaunt über Reimut Reiches und Claudia Honeggers Kommentare, die kaum auf ihren Vortrag eingehen und nicht auf sie antworten. Sie führt das darauf zurück, daß Foucault von deutschen Wissenschaftlern kaum als Philosoph akzeptiert wird. Ihrer Meinung nach untersucht Foucault nicht bloß die Historie, sondern er stellt auch die ontologische Frage danach, wie Subjekte entstehen. Foucault stelle daher auch philosophische Fragen. Butler legt die Emphase auf das De-limitierende an Foucaults Studien. Darauf antwortet sie auf Reiches Behauptung, daß Foucault bei ihr eine hegelianische Subjektphilosophie begründe, bei der das Subjekt immer ein Unterworfenes wäre, das nach Anerkennung strebe. Butler entgegnet, daß es bei Foucault immer einen Kampf mit Hegel gegeben habe, daß er deswegen aber noch lange kein Hegelianer sei. Axel Honneth fügt danach noch hinzu, daß Butler erkläre, wie Subjekte in der Unterwerfung erzeugt werden, das wäre nicht hegelianisch.

Für Judith Butler sollen sich die queer-studies nicht bloß auf einen Aktivismus in Organisationen, bei Demonstrationen usw. beschränken. Für sie stellen sich damit auch philosophisch-ontologisch tiefgreifende Fragen. Aus diesem Grund hatte sie an diesem Tag auch nicht über queer-studies geredet.

Auf die Fragen aus dem Publikum, ob Foucault auch Utopisches anbiete, ob Butler für eine Überschreitung von Normen eintrete, ob sie Verlangen nach neuen Normen habe, was die Überschreitung motiviere und welche Impulse zu ihr führen, antwortet Butler, daß eine Transgression von Normen nur durch einen neuen Satz von Normen möglich wäre. Diese Normen sollen allerdings nicht determinierend wirken und dabei veränderlich bleiben. Manche Menschen haben durch den Zwang der vorgegeben Normen das Gefühl, nicht „sich-selbst” sein zu dürfen (Problem der Selbst-Anerkennung*). Für Butler ist das der Impuls, die Triebfeder, die Normen zu verändern. Sie fordert mit Spinoza ein „persist in one´s being”. Foucault spricht nach ihrer Einschätzung in seinen späten Schriften oft von Anerkennung (s. Textauszüge unten). Er bietet allerdings keinen utopischen Ausweg an.

Für Nancy Fraser, die ebenfalls im Publikum saß und am Vortag referierte, beschäftigt sich Judith Butler in ihrer Lesweise Foucaults zu sehr mit dem Problem der Identität. Sie gehe von einem Begehren nach Verhaftung („desire to persist”) und einem Begehren nach Intelligibilität („desire to be intelligible”) aus. Butler antwortet darauf, daß es immer noch Institutionen usw. gibt, die Individuen zu Monstern und nicht-anerkennbar („unrecognizable”) erklären. Aber immer wieder kommt es dazu, daß jemand seine Intelligibilität riskiert (z. B. wurde die Rede von Frauen auch vorstellbar). Bestimmte Arten und Formen zu leben müssen vorstellbar gemacht werden. Sie will kein „good life”, das angestrebt werden soll, und auch keine „Rettung der Welt”. Butler wünscht sich nur, daß es z. B. weniger Selbstmorde von queer people, die keine Existenzen sein dürfen, gibt. Sie will einfach mehr Gerechtigkeit.

Auf die letzte Bemerkung eines Studenten, der fragt, wie es sein könne, daß ein Großteil des Auditoriums - zehn Jahre nach Judith Butlers „Gender Trouble” - über Sabine Harks Vorstellung der drei Vortragenden als „Wissenschaftlerinnen” (unter ihnen Reimut Reiche) immer noch lache, antwortet Butler, daß dieses Lachen gut sei. Solches Lachen ist genau das, was sie will: Sie möchte, daß man eben über diese Zuweisungen von Geschlechtern lacht. Auch Foucault explodierte vor Lachen als er in einem Interview mit der Frage konfrontiert wurde, ob es eine spezifische männliche und eine spezifisch weibliche Homosexualität gebe, die Lesbierinnen würden die Monogamie bevorzugen, Schwule dagegen nicht. Er antwortete einfach mit einem Lachen, „weil die Interviewfrage jene Binarität voraussetzt, die er zu verschieben versucht, nämlich die Eintönigkeit der Binarität des Selben und des Anderen” (Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 154; vgl. OdD S.17, vgl. auch das Lachen Batailles in Jacques Derridas Text „Von der beschränkten zu allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus”; vgl. zudem Foucaults „unverständliches Gelächter” gegenüber der Philosophie, das eher „zerbricht [...] als es versteht”, FdL 234, oder seinen subversiven „wissenschaftlichen Humor” innerhalb seines fröhlichen Kampfes, vgl. MdM 132ff, vgl. MdM 129; M. C. J.).

Diese - zum Teil ergänzende und paraphrasierende - Zusammenfassung des Vortrags und der Diskussion von Marc C. Jäger im September 2001

 

 

Literatur:

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Aus d. Amerik. v. Katharina Menke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991.

Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Aus d. Amerik. v. Karin Wördemann. Berlin: Berlin Verlag, 1995.

Derrida, Jacques: „Von der beschränkten zu allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus”. In: Die Schrift und die Differenz. 7. A. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1997.

Foucault, Michel: Das Subjekt und die Macht. In: Hubert L. Dreyfus u. Paul Rabinow. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Mit einem Nachwort von und einem Interview mit Michel Foucault. Aus d. Amerik. v. Claus Rath u. Ulrich Raulff. Frankfurt a. M.: Athenäum, 1987. S. 241-261. (SM)

Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter. 5. A. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1997. (GdL)

Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter. 10. A. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1998. (WzW)

Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Übers. v. Ulrich Köppen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1971. (OdD)

Foucault, Michel: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3. Übers. v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter. 5. A. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1997. (SuS)

Foucault, Michel: Funktionen der Literatur. Ein Interview mit Michel Foucault. In: Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der Aufklärung. Hg. V. Eva Erdmann, Rainer Forst u. Axel Honneth. Frankfurt a. M. u. New York: Campus, 1990. S. 229-234. (FdL)

Foucault, Michel: Genealogie der Ethik: Ein Überblick über laufende Arbeiten. In: Hubert L. Dreyfus u. Paul Rabinow: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Mit einem Nachwort von und einem Interview mit Michel Foucault. Aus d. Amerik. v. Claus Rath u. Ulrich Raulff. Frankfurt a. M.: Athenäum, 1987. S. 263-292. (GE)

Foucault, Michel: Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Berlin: Merve, 1976. (MdM)

Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Übers. v. Walter Seitter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994. (ÜuS)

 

 

 

 

 

* Hier noch einige Textstellen von Foucault zum Themenkomplex „Körper und An-Erkennung”:

„Von der ‚Sexualität’ als einer besonderen historischen Erfahrung zu sprechen setzte auch voraus, daß man über geeignete Instrumente verfügt, um die drei Achsen dieser Erfahrung in ihrem je eigenen Charakter und in ihrem Zusammenhang zu analysieren: die Formierung der Wissen, die sich auf sie beziehen; die Machtsysteme, die ihre Ausübung regeln; und die Formen, in denen sich die Individuen als Subjekte dieser Sexualität (an)erkennen können und müssen. Für die beiden ersten Punkte hatten mir meine frühren Arbeiten – über die Medizin und die Psychiatrie, über die Strafmacht und die Disziplinarpraktiken – das nötige Handwerkszeug geliefert; die Analyse der Diskurspraktiken machte es möglich, der Formierung der Wissen nachzugehen, ohne in das Dilemma von Wissenschaft und Ideologie zu geraten; die Analyse der Machtbeziehungen und ihrer Technologien machte es möglich, [s]ie als offene Strategien ins Auge zu fassen, ohne die Macht entweder als Herrschaft konzipieren zu wollen oder als Trugbild denunzieren zu müssen.

Hingegen machte mir die Untersuchung der Weisen, in denen die Individuen dazu gebracht werden, sich als sexuelle Subjekte anzuerkennen, viel mehr Schwierigkeiten [...].

Damit meine ich nicht eine Historie der aufeinanderfolgenden Konzeptionen des Begehrens, der Begehrlichkeit, der Libido, sondern eine Analyse der Praktiken, durch die die Individuen dazu verhalten worden sind, auf sich selber zu achten, sich als Begehrenssubjekte zu entziffern, anzuerkennen und einzugestehen und damit zwischen sich und sich selber eine gewisses Verhältnis einzuleiten, das sie im Begehren die Wahrheit ihres – natürlichen oder gefallenen – Seins entdecken läßt [...].

Um zu verstehen, wie das moderne Individuum die Erfahrung seiner selber als Subjekt einer ‚Sexualität’ machen konnte, war es unumgänglich, zuvor die Art und Weise herauszuschälen, in der der abendländische Mensch sich jahrhundertelang als Begehrenssubjekt zu erkennen hatte.” (GdL 10-12)

„[Bei der Analyse dessen, was als ‚Subjekt’ bezeichnet wird,] sollte untersucht werden, welches die Formen und Modalitäten des Verhältnisses zu sich sind, durch die sich das Individuum als Subjekt konstituiert und erkennt.” (GdL 12)

„[Nach dem Studium der Wahrheitsspiele in ihrem Verhältnis zueinander [...] schien sich mir folgende Arbeit aufzudrängen: das Studium der Wahrheitsspiele im Verhältnis seiner selber zu sich und der Konstitution seiner selber als Subjekt – im Einzugsbereich dessen, was man die ‚Geschichte des Begehrensmenschen’ nennen könnte.” (GdL 12f)

„Aber was ist die Philosophie heute – ich meiner die philosophische Aktivität -, wenn nicht die kritische Arbeit des Denkens an sich selber? Und wenn sie nicht, statt zu rechtfertigen, was man schon weiß, in der Anstrengung liegt, zu wissen, wie und wie weit es möglich wäre, anders zu denken. [...] Der ‚Versuch’ [...] ist der lebende Körper der Philosophie, sofern diese jetzt noch das ist, was sie einst war: eine Askese, Übung seiner selbst und seines Denkens.” (GdL 15f)

 

 

Über die „antiautoritären Kämpfe” (SM 245) sagt Foucault u. a. das Folgende:

„Es sind Kämpfe, die den Status des Individuums infragestellen: Einerseits behaupten sie das Recht, anders zu sein, und unterstreichen all das, was Individuen wirklich individuell macht. Andererseits bekämpfen sie all das, was das Individuum absondert, seine Verbindungen zu anderen abschneidet, das Gemeinschaftsleben spaltet, das Individuum auf sich selbst zurückwirft und zwanghaft an seine Identität fesselt.

Diese Kämpfe sind nicht im engeren Sinne für oder gegen das ‚Individuum’ gerichtet, sondern eher Kämpfe gegen das, was man ‚Regieren durch Individualisieren’ nennen könnte.” (SM 246)

„Das Hauptziel dieser Kämpfe ist nicht so sehr der Angriff auf diese oder jene Machtinstitution, Gruppe, Klasse oder Elite, sondern vielmehr eine Technik, eine Form von Macht. Diese Form von Macht wird im unmittelbaren Alltagsleben spürbar, welches das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individualität aufprägt, es an seine Identität fesselt, ihm ein Gesetz der Wahrheit auferlegt, das er anerkennen muß und das andere in ihm anerkennen müssen. Es ist eine Machtform, die aus Individuen Subjekte macht.” (SM 246)

„Abschließend könnte man sagen, daß das politische, ethische, soziale und philosophische Problem, das sich uns heute stellt, nicht darin liegt, das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns sowohl vom Staat als auch vom Typ der Individualisierung, der mit ihm verbunden ist zu befreien. Wir müssen neue Formen der Subjektivität zustandebringen, indem wir die Art von Individualität, die man uns jahrhundertelang auferlegt hat, zurückweisen.” (SM 250)

[W]ir müssen uns selbst als ein Kunstwerk schaffen. [...] [W]ir sollten nicht jemandes schöpferische Tätigkeit auf die Art seines Selbstverhältnisses zurückführen, sondern die Art seines Selbstverhältnisses als eine schöpferische Tätigkeit ansehen.” (GE 274)

(Alle Hervorhebungen von mir, M. C. J.)

 

(ausgewählt von Marc C. Jäger, Oktober 2001)




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